Die Zahl der Straftaten gegen Juden in Deutschland und auch in Bayern steigt. Das hat das Bayerische Staatsministerium der Justiz heute bekannt gegeben. So hat es 2019 mehr als 300 antisemitisch motivierte Straftaten im Freistaat gegeben. Im Jahr 2020 leiteten die Hatespeech-Sonderdezernenten der bayerischen Staatsanwaltschaften 81 Ermittlungsfahren wegen antisemitischer Hass-Posts im Netz ein.
Auch bei den Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen kam es in den vergangenen Wochen verstärkt zu antisemitischen Vorfällen. Dem Monitoring-Bericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern) zufolge haben Teilnehmer von Demonstrationen in München, Nürnberg und Passau am 9. Mai gelbe Sterne mit Inschriften wie „Impfen macht frei“ getragen.
Mit solchen Aktionen würden die Infektionsschutz-Maßnahmen von Bund und Ländern auf unerträgliche Weise mit dem Nationalsozialismus und der Schoah verglichen und sogar gleichgesetzt werden, so der Bayerische Justizminister Georg Eisenreich. Die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien und die Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen könnten auch zum Nährboden für neue Straftaten werden, warnt Eisenreich.
Wir in Bayern und in Deutschland haben eine besondere Verantwortung für Jüdinnen und Juden. Im Kampf gegen Antisemitismus halte ich das Miteinander von drei Vorgehensweisen für notwendig: Die gelebte Solidarität mit Jüdinnen und Juden, die Prävention und Bildung gegen Antisemitismus sowie die Verfolgung von Straftaten. Die Grundlage für ein solches Vorgehen ist eine Kultur des Hinschauens. In Bayern erlebe ich, dass Polizei und Justiz Antisemitismus mit Nachdruck entgegentreten.
(Dr. Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe)
Um den Staatsanwälten bei der Verfolgung antisemitischer Straftaten unter die Arme zu greifen, haben die Antisemitismusbeauftragten der bayerischen Generalstaatsanwaltschaften unter Federführung von Oberstaatsanwalt Andreas Franck einen bisher in Deutschland einzigartigen Leitfaden erarbeitet. Das Ziel des Leitfadens „Antisemitische Straftaten erkennen“ sei es, so Eisenreich, Anhaltspunkte für eine judenfeindliche Tatmotivation darzustellen, sodass antisemitische Straftaten leichter identifiziert werden können. Solche Anhaltspunkte können zum Beispiel Codes oder Jahrestage sein, die für Neonazis bedeutsam sind.
Mit einer Vielzahl an Maßnahmen hat die bayerische Justiz auf die Zunahme antisemitischer Straftaten in den vergangenen Jahren reagiert:
– Bei den drei Generalstaatsanwaltschaften in München, Nürnberg und Bamberg wurde im Sommer 2018 jeweils ein Antisemitismusbeauftragter bestellt.
– Die Staatsanwaltschaften wurden angewiesen, dass für die Frage nach dem Vorliegen einer antisemitischen Straftat die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) maßgeblich ist.
– Für die Staatsanwaltschaften gilt der Grundsatz: Eine nachdrückliche Verfolgung antisemitischer Straftaten liegt grundsätzlich im öffentlichen Interesse. Verweisungen auf den Privatklageweg kommen in aller Regel nicht in Betracht.
– Kampf gegen Hasskriminalität im Netz. Dafür wurden bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften Sonderdezernate eingerichtet. Zudem wurde bei der Generalstaatsanwaltschaft München zentral für ganz Bayern ein Hate-Speech-Beauftragter der bayerischen Justiz bestellt.
– Härtere Strafen für judenfeindlich motivierte Straftaten: Bayern hat hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt, dem der Bundesrat Ende November 2019 mit breiter Mehrheit zugestimmt und den die Bundesregierung aufgegriffen hat.
(Quelle: Pressemitteilung Bayerisches Staatsministerium der Justiz)
Eisenreich stellt noch einmal klar, dass es für Antisemitismus keinen Platz in Bayern gebe. Es sei die Aufgabe der bayerischen Justiz, den Judenhass an den Rändern, aber auch in der Mitte der Gesellschaft und unter den nach Bayern Geflüchteten zu erkennen, zu benennen und zu bekämpfen.
(vl)