Deutsche Sparer gelten im internationalen Vergleich als börsenscheu und sehr risikoavers. Eine Studie der ING Deutschland in Kooperation mit der Finanzberatung Barkow Consulting zeigt nun, dass sich das Anlageverhalten während der Covid-19-Pandemie stark verändert hat. Die liberale Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und die bei vielen Banken negativen Zinsen haben demnach dazu geführt, dass immer Deutsche DAX Aktien kaufen sowie in ETFs und Fonds investieren. Dies spiegelt sich auch im Kurs des deutsche Aktienindex Dax wider, der kurz nach Ostern auf ein neues Rekordhoch von 15.502 Punkten gestiegen ist.
Insgesamt haben private Anleger 2020 Aktien in einer Rekordhöhe von 49 Milliarden Euro erworben. Dies ist ein Anstieg von 160 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der bisherige Rekord stammt aus dem Jahr 1999, als zu den Zeiten des Neuen Marktes zahlreiche Deutsche in Aktien junger Unternehmen aus dem Internet- und Kommunikationsbereich investierten. Die kurz danach geplatzte Dotcom-Blase, die vielen Anlegern hohe Verluste erbrachte, sorgte dafür, dass in den Folgejahren deutlich weniger in Aktien investiert wurde.
Das hohe Investitionsvolumen wird laut Daten des Deutschen Aktieninstituts (DAI) auch an der Anzahl der Aktionäre in Deutschland deutlich, die im vergangenen Jahr auf 12,35 Millionen Menschen anstieg. Dies sind 2,7 Millionen Aktionäre mehr als im Vorjahr. Noch höher vor die Anzahl der Aktionäre in der Bundesrepublik mit 12,9 Millionen lediglich 2001.
„2020 war in Deutschland ganz klar das Jahr der Aktienanlage“, konstatiert Thomas Dwornitzak, Leiter Sparen & Anlegen der ING Deutschland. Neben Aktien investierten Kleinanleger vermehrt auch in günstige Indexfonds. 2020 flossen in diese Anlageoption 41 Milliarden Euro. Dies ist fast ein Drittel mehr als im Vorjahr.
Experten erwarten Kurskorrektur
Angesichts der bestehenden Inflationssorgen und aufgrund des hohen Kursniveaus erwarten Börsenexperten zeitnah eine deutliche Kurskorrektur. Diese könnte zu einem ähnlichen Effekt wie das Platzen der Dotcom-Blase führen und damit dafür sorgen, dass sich viele Privatanleger kurz- und mittelfristig wieder von Aktien abwenden.
Als Reaktion auf die hohen Risiken, die Privatanleger aktuell bei ihren Investitionen an der Börse eingehen, hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich inzwischen eine Warnung ausgegeben. Besonders deutlich wird das problematische Verhalten am Wertpapiermarkt in den USA, wo inzwischen auch Kleinanleger Aktien auf Kredit erwerben. Auch in Deutschland verzeichnen Neo-Broker wie Trade Republic neue Nutzerrekorde. Dies könnte laut der EU-Wertpapier- und Börsenaufsicht ESMA zu einer „Gamification of Investing“ führen, also einen spielerischen Wertpapierhandel, bei dem das übliche Risikobewusstsein der Kleinanleger ausgeblendet wird.
Spareinlagen weiterhin führend
Trotz der vermehrten Investitionen in Aktien und der anhaltenden Niedrigzinsphase entfallen weiterhin 36 Prozent des Geldvermögens der deutschen Bevölkerung (2,6 Billionen Euro) auf klassische Spareinlagen. Auf dem zweiten Platz (2,5 Billionen Euro) liegen Ansprüche gegenüber Alterssicherungssystemen. In Aktien (805 Milliarden Euro) und Fonds (735 Milliarden Euro) haben Privathaushalte laut einer Statistik der Bundesbank hingegen deutlich weniger investiert.
Immobilienmärkte profitieren dank günstiger Kredite
Obwohl die Covid-19-Pandemie in vielen Branchen zu wirtschaftlicher Unsicherheit geführt hat, sind die Immobilienpreise 2020 weiter gestiegen. Verantwortlich dafür ist das Niedrigzinsumfeld, das sowohl bei privaten als auch bei institutionellen Anlegern dazu geführt hat, dass vermehrt in Immobilien investiert wurde. Laut des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp) sind die Immobilienpreise dadurch in den sieben größten deutschen Städten im ersten Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 6,2 Prozent gestiegen. In den vergangenen drei Jahren sind die Preise für Immobilien im Mittel um fast 20 Prozent gewachsen.
Besonders deutlich wird die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt bei Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern, die im ersten Quartal um 8,4 Prozent teurer wurden. In den letzten drei Jahren sind Wohnimmobilien damit um fast ein Drittel im Preis gestiegen.
Auch diese Entwicklung ist laut Finanzexperten ein Faktor für Aktienboom in Deutschland. Weil sich immer mehr Menschen mit ihren Ersparnissen in vielen Städten keine Immobilie mehr leisten können, investieren sie demnach stattdessen das vorhandene Eigenkapital an der Börse.