In ihrem Impulsvortrag „WOHNEN 6.0 – Perspektiven für die Langzeitpflege“ gab Ursula Kremer-Preiß vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) einen Überblick über die Entwicklung der Heimmodelle im Laufe der Jahrzehnte: In der 1. und 2. Heimgeneration aus den 1950er und 60er Jahren (Verwahranstalten/Stationskonzepte) wurde wenig auf die individuellen Besonderheiten der Heimbewohner eingegangen. Die Bewohnerschaft erhielt eine funktionale Versorgung in weitgehend separierten Sonderwelten. Die 3. und 4. Heimgenration (Wohnheime/Hausgemeinschaften) in den 80er und 90er Jahre haben der Bewohnerschaft ermöglicht, mehr ein Leben nach ihren individuellen Bedürfnissen führen zu können und den Alltag mehr so wie in einer „normalen“ Familie zu gestaltet. Die 5. Generation (Quartiershäuser) seit 2010 versucht, nicht nur die Sonderwelten Heim zu individualisieren und zu „normalisieren“, sondern Heim wieder in die Gesellschaft zu integrieren, indem die Heime inklusive Strukturen schaffen und sich in das Wohnquartier öffnen. „Jedoch trotz vielfältiger Reformen hat sich an der Grundstruktur der Heimversorgung nichts Gravierendes geändert. Letztlich trägt ein professioneller Träger allein die Verantwortung für die Umsetzung und Gestaltung des Lebens in diesen Langzeitpflegewohnsettings“, so Kremer-Preiß.
Mit dem Konzept „WOHNEN 6.0“ denkt das KDA noch einen Schritt weiter: „Es geht darum, Heime mehr zu demokratisieren.“ Alle am Sorgegeschehen Beteiligten – die Bewohnerschaft mit ihren An- und Zugehörigen, unterstützt durch bürgerschaftlich Engagierte aber auch die Mitarbeitenden, sollen mehr direkten Einfluss auf das Leben und die Arbeit in Langzeitpflegewohnangeboten erhalten. „Im sogenannten Sorgeparlament sollen alle Beteiligten mitentscheiden – beispielsweise über den Wohnalltag oder darüber, wie viel die Bewohner und Angehörigen noch selbst stemmen können und wo sie professionelle Unterstützung brauchen. Es geht also nicht um eine neue Heimgeneration, sondern ein sektorenübergreifendes Wohnkonzept.“ Wichtig sei auch, dass die Mitarbeiter mehr Einfluss nehmen können, selbst ihre Arbeitsstrukturen organisieren, selbstverantwortlicher arbeiten dürfen und Hierarchien zugunsten eines kooperativen Führungsstils weichen.
„Wir stehen vor einer großen Herausforderung: Derzeit lebt knapp eine Million Menschen in der stationären Pflege. Und die Zahl der Pflegebedürftigen mit schwerem und langem Pflegebedarf wird künftig noch steigen. Wir brauchen in der Zukunft sicher mehr Langzeitpflegewohnangebote – aber sie müssen so gestaltet sein, dass sie bedarfsgerecht sind, Versorgungssicherheit gewährleistet und finanzierbar bleiben,“ fordert Kremer-Preiß. Für all das bietet WOHNEN 6.0 eine Chance. „Wenn Betroffene mehr Einfluss haben, wie der Wohnalltag in der Langzeitpflege gestaltet werden soll und Leistungen nach Bedarf hinzugewählt werden können, bekommen wir bedarfsgerechtere Versorgungsstrukturen. Wenn Mitarbeitende mehr selbst ihre Arbeit verantworten können, kann dies die Arbeitszufriedenheit steigern und einen Beitrag zur Begegnung des drohenden Pflegenotstandes leisten. Wenn es gelingt, eine ‚neue Verantwortungskultur‘ in der Sorge zu motivieren und Betroffene, Bürger aus den Quartieren und Profis zusammen die Sorgearbeit stemmen, kann dies die kommunale Daseinsfürsorge entlasten,“ fasst die Referentin zusammen.
„Ihr Vortrag hat verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Bevölkerung bei etwaigen Lösungsansätzen mit einzubeziehen, um die Bedürfnisse auch bedarfsgerecht decken zu können. Die regionale Daseinsvorsorge gilt als eine wesentliche Grundlage für gleichwertige Lebensverhältnisse. Sie steht für die Sicherung der Grundbedürfnisse und für die Schaffung von Möglichkeiten für eine selbstbestimmte Lebensführung – auch im Alter“, resümierte LfP-Leiter Achim Uhl und bedankte sich bei Ursula Kremer-Preiß für den Vortrag.
Das nächste Fachgespräch am LfP ist für Ende März geplant. Dabei wird das Thema „Bürger- und Dachgenossenschaften: Engagement für das Gemeinwesen“ im Fokus stehen.
(vl)