Es ist eine schwierige Zeit für die katholische Kirche. Nach der Veröffentlichung des Gutachtens zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising ziehen viele Gläubige Konsequenzen. Sie treten aus der Kirche aus. So auch in der Stadt Amberg.
Laut dem Leiter des Standesamtes Amberg, Wolfgang Lebe, sind im Januar 2022 65 Menschen aus der Kirche ausgetreten. 19 weitere Termine seien bereits für den Februar vorgemerkt. Im Vorjahr gab es im Januar 2021 lediglich 18 Kirchenaustritte. Im gesamten vergangenen Jahr 371.
Diese Entwicklung lässt sich auch in anderen Städten der Nordoberpfalz beobachten. In der Stadt Weiden gab es im Januar 2022 58 Kirchenaustritte. Zum Vergleich Januar 2021 mit 22 Austritten. Für den Februar sind derzeit 40 Termine reserviert.
Auch in der Stadt Schwandorf hat sich die Nachfrage nach Terminen zu Kirchenaustritten massiv erhöht. Während für das gesamte Jahr 2021 noch 273 Kirchenaustritte verzeichnet wurden, waren es allein im Januar dieses Jahres 65 Austritte. Mehr als die Hälfte davon wurden nach dem 20. Januar und der Veröffentlichung des Gutachtens vergeben. Laut der Stadt Schwandorf erreichen die Mitarbeiter täglich etwa fünf bis zehn Anfragen für Terminreservierungen.
Im Standesamt der Stadt Tirschenreuth wurden für den Monat Januar 16 Kirchenaustritte registriert. 13 davon nach dem 20. Januar. Die Zahl der Kirchenaustritte sei damit etwas höher als im Vorjahr.
Zur Info: In der Statistik werden sowohl katholische und evangelische Kirchenaustritte aufgezählt. Eine getrennte Auswertung ist programmtechnisch nicht möglich.
Wut und Enttäuschung in der Bevölkerung
Immer mehr Katholiken treten aus der Kirche aus. Diese Entwicklung lässt sich nicht nur anhand der Zahlen der Standesämter feststellen, sondern auch auf der Straße ziehen viele Menschen nach dem Gutachten Konsequenzen.
Bei vielen herrscht Wut und Enttäuschung. All das bekommt auch Domkapitular Thomas Pinzer zu spüren. Er ist der Leiter des Seelsorgeamts des Bistums Regensburg. Nachdem sie viele empörte Anrufe und Mails erreichten, startete das Bistum das Austrittstelefon.
Rund zwanzig Mal klingelte das Handy von Thomas Pinzer am ersten Tag des Austrittstelefons. Bei den Telefonaten schreibt er mit. Schließlich wird er dem Bischof von Regensburg, Dr. Rudolf Voderholzer, von den Gesprächen berichten.
Bischof Rudolf Voderholzer in der Kritik
Seit gestern steht der Regensburger Bischof selbst in der Kritik. Er sorgte bei der Synodalversammlung mit seiner Äußerung über sexuellen Missbrauch für große Empörung. Der Bischof verwies darauf, dass eine Strafrechtsreform von 1973 Kindesmissbrauch nicht mehr als Verbrechen gewertet habe „und zwar auf Basis von sexualwissenschaftlichen Urteilen, die davon ausgehen, dass für die betroffenen Kinder und Jugendlichen die Vernehmung wesentlich schlimmer sind als die im Grunde harmlosen Missbrauchsfälle.“
Mehrere Delegierte verurteilten Voderholzers Aussage scharf. Das Bistum erklärte in einer heutigen Stellungnahme, dass der Bischof mit seiner Aussage missverstanden worden sei.
(…) Dabei ging es mir darum, das Gutachten ernst zu nehmen. Da haben viele Anwälte ein fast 2000-seitiges Werk verfasst, und in der öffentlichen Aussprache und Behandlung des Gutachtens spricht man fast nur über eine Zeile aus der Stellungnahme von Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger. Das wird meiner Ansicht diesem Gutachten nicht gerecht. Ich erwarte mir echte Erkenntnisse von einem solchen Werk, weil ich davon lernen will. Und in einem speziellen, aber sehr entscheidenden Punkt habe ich mir das Gutachten unter sozialgeschichtlicher Hinsicht schon genauer angeschaut. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Gutachter aus meiner Sicht einen Sachverhalt nicht in seiner historisch greifbaren richtigen Form darstellen. Daraufhin habe ich eine Kritik geäußert, die als sachlich-kritischer Beitrag gemeint war.
Auszug, Persönliches Statement von Bischof Voderholzer
Weiter heißt es, dass er die Verharmlosung des sexuellen Missbrauchs für verheerend halte und an der Seite der Opfer stehe und für sie eintrete.
Mindestens 497 Opfer: Zu diesem Ergebnis kommen die Gutachter der Diözese München und Freising. Vermutlich liegt die Dunkelziffer aber noch deutlich höher. Diese Zahlen sind nur schwer zu begreifen. Auch für Thomas Pinzer.
Ich glaube das Allererste ist, dass wir unseren Blick mehr auf die Opfer richten müssen. Das haben wir ja im Guthaben immer wieder gesagt bekommen, dass wir zu wenig unseren Blick auf die Opfer haben, da haben wir noch sehr viel Luft nach oben. Und ich glaube, das ist der einzige Weg, um da wieder glaubwürdiger und authentischer zu werden.
Domkapitular Thomas Pinzer, Leiter Seelsorgeamt Bistum Regensburg
Um das zu erreichen, fordern viele Gläubige Reformen in den Reihen der katholischen Kirche. Ob das bei den Strukturen der Institution möglich ist, wird sich zeigen. Schließlich liegt das letzte Wort immer noch in Rom.
(lw)