Die Teilnehmer diskutierten über Konzepte wie „Caring Community“ oder „Community Health Nursing“ als mögliche Antworten auf den demografischen Wandel. „Gemeinsam ist allen Ansätzen die Erweiterung der pflegerischen Perspektive, die eine kollektive Betrachtungsweise, die gesundheitliche Fragen, kommunale Besonderheiten und sozialräumliche Aspekte in den Blick nimmt“, erläuterte Achim Uhl, Leiter des Bayerischen Landesamtes für Pflege (LfP).
Laut Pflegegutachten des IGES Instituts gab es in Bayern 2019 knapp 500.000 pflegebedürftige Menschen, 2050 wird die Zahl, je nach Szenario, auf 760.000 bzw. knapp 1 Million Pflegebedürftige deutlich ansteigen. „Die Tendenz ist eindeutig: Der Bedarf an Pflegekräften ist da und wächst“, so Barbara Weber-Fiori vom Bayerischen Forschungszentrum Pflege Digital (BZPD). „Hauptsächlich werden Pflegebedürftige zuhause versorgt. Nur 20 Prozent sind in vollstationären Einrichtungen. Das heißt, man muss wirklich kreativ sein, um dem zu begegnen.“ Deshalb wachse die Bedeutung von sogenannten „Caring Communitys“ oder Sorgegemeinschaften. Dabei kümmern sich Angehörige, professionelle Pflegekräfte und auch Gemeindemitglieder zusammen mit Menschen aus der Wohnsiedlung um pflegebedürftige Menschen. „In Zukunft brauchen wir solche multidimensionalen Ansätze. Der Staat alleine kann es nicht richten. Vielmehr müssen Bürgern, Staat, Organisationen der Zivilgesellschaft und professionelle Dienstleister zusammenhelfen.“
Damit die Voraussetzungen für den Ausbau kommunalen Engagements im Pflegebereich geschaffen werden können, müssen die nötigen politischen Rahmenbedingungen und eine adäquate Infrastruktur in Angriff genommen werden. „Bedarfsorientierte Pflege findet in den Kommunen statt. Die Kommune kann die Voraussetzungen für teilhabefördernde Rahmenbedingungen schaffen und einen Beitrag zu zuverlässigen und nachhaltigen Sorgestrukturen leisten. Für die Kommunen muss aber eine verlässliche Regelfinanzierung von Bund und Land gewährleistet sein“, erklärte Barbara Weber-Fiori. Besonders wichtig sei es, die Bürger mit einzubeziehen und kommunale Mitarbeiter mitzunehmen. „Denn nur partizipativ werden oft notwendige Veränderungen mitgetragen.“
Ein anderer Ansatzpunkt zur künftigen Sicherung von Pflegeleistungen ist „Community Health Nursing“(CHN). Kurz erklärt sind Community Health Nurses qualifizierte Pflegefachpersonen, die in der primären Gesundheitsversorgung arbeiten und zum Beispiel an ein Gesundheitszentrum angebunden sind. Sie sind erste Ansprechpartner für pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit chronischen Mehrfacherkrankungen und beraten, überwachen und koordinieren. „International gibt es dieses Konzept schon lange“, schilderte Dr. Monika Linhart vom BZPD. „Community Health Nursing hat ein umfassenderes Gesundheitsverständnis. Der Fokus liegt nicht nur auf der Pflegebedürftigkeit, sondern auch auf Gesundheitsförderung und Prävention. Voraussetzung für die Arbeit als Community Health Nurse ist ein akademischer Abschluss auf Masterebene.“ Denn zu den zentralen Kompetenzen einer Community Health Nurse gehöre es auch, Daten zu erheben, zu verstehen und diese anschließend in maßnahmenrelevante Informationen umzuwandeln oder daraus Richtlinien abzuleiten, um so dabei zu helfen, die Qualität der Versorgung zu verbessern.
In Deutschland läuft seit 2017 ein CHN-Projekt der Agnes-Karll-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und der Robert Bosch Stiftung. Dabei entwickelten Experten ein Aufgaben- und Leistungsprofil für Community Health Nurses, woraufhin entsprechende Masterstudiengänge an drei Hochschulen konzipiert wurden. Seit 2020 können Pflegefachpersonen dort Community Health Nursing studieren. „Trotzdem gibt es Probleme bei der Umsetzung“, erläuterte Dr. Linhart. „Es fehlt noch an Stellen, der Tätigkeitsbereich der Community Health Nurses ist nicht eindeutig formuliert und viele sehen dieses neue Berufsbild leider skeptisch.“ Das große Potenzial der professionellen Gesundheitspflege werde deshalb noch zu wenig aufgegriffen. Dabei wäre es wichtig, dass sich die Rolle der Community Health Nurses weiterentwickelt und akademisch ausgebildete Pflegekräfte einen größeren Anteil an der nicht-medizinischen Krankheitsversorgung haben. „Wir müssen in Deutschland von der traditionellen Vorstellung wegkommen, dass die Pflege ein ärztlicher Hilfsberuf ist. Das wird bei der Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung ein ganz wichtiger Scheideweg.“
Von Konzepten wie dem „Community Health Nursing“ oder der „Caring Community“ können vor allem ländliche Regionen profitieren, ist sich LfP-Leiter Achim Uhl sicher. „Dort ist die Versorgung durch pflegerische und medizinischen Einrichtungen oft nicht so ausgebaut wie in Ballungsräumen. Mit der steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen wird der Bedarf an solchen Hilfsangeboten weiter wachsen“, so das Resümee beim dritten Fachgespräch am LfP.
Das nächste Online-Fachgespräch des Bayerischen Landesamtes für Pflege ist für den 28. September 2022 angesetzt. Thema ist dann „Bürgerschaftliches Engagement“.