Die 32-jährige Syrerin, die ihr Kind aus dem Fenster geworfen hat, kommt aus der Psychiatrie frei. So das Urteil im Revisonsprozess der dritten Strafkammer des Weidener Landgerichts unter Vorsitz von Landgerichtspräsident Josef Weidensteiner. Vorangegangen waren heute zwei völlig konträre Plädoyers und eine lange, sehr schwierige Urteilsberatung.
In einem Wahnzustand hatte die vierfache Mutter im Mai 2021 ihre zwei Jahre alte Tochter aus dem Fenster fünf Meter in die Tiefe geworfen und ihre neunjährige Tochter hinterhergeschickt. Dann wollte sie mit dem zehnjährigen Sohn selbst hinterher, wurde aber zuvor überwältigt.
„Die Mutter sah keinen anderen Fluchtweg als durch das Fenster“, hatte der Landgerichtsarzt Dr. Bruno Rieder in seinem Gutachten in den vorangegangenen Verhandlungstagen die Tat rekonstruiert. Die psychisch kranke Frau habe sich ausweglos gefühlt und den Fenstersturz im Verfolgungswahn als einzige Lösung gesehen. Heute wisse die Frau, „dass man keine Kinder aus dem Fester wirft“, so der Gutachter. Allerdings müsse sie regelmäßig Medikamente nehmen.
Leitender Oberstaatsanwalt Bernhard Voit erachtete das Risiko als zu hoch. Er hatte beantragt, die Frau in der geschlossenen Anstalt zu belassen.
Verteidiger Rechtsanwalt Rouven Colbatz dagegen hatte die Aussetzung der Unterbringung auf Bewährung beantragt – die Strafkammer hat den Unterbringungsbefehl vom April 2021 dann aber völlig aufgehoben.
Heute sei die Frau, die unter paranoider Schizophrenie leide, aufgrund einer Depot-Medikation symptomfrei und könne ihr Handeln steuern. Das sei ausschlaggebend für das Gericht gewesen, den Unterbringungsbeschluss aufzuheben. Anders als beim ersten Prozess bestehe nun keine akute Gefahr mehr – weder für die Familie noch für die Bevölkerung. Und die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall sei nicht erheblich, so Weidensteiner.
Dennoch hat die Strafkammer lange um dieses Urteil gerungen. Denn trotz intensiver Bemühungen durch das Gericht und die Verteidigung war bis zum heutigen Tag keine Einrichtung zu finden, die die wohnungslose Frau aufnehmen und betreuen könnte. Die Wartelisten sind zu lange. Und so hat sich die Strafkammer dafür heute eingesetzt, dass die 32-Jährige noch 48 Stunden in der psychiatrischen Klinik bleiben darf, damit sie nicht sofort auf der Straße steht. Wie es weitergeht, darum muss sich nun der Betreuer der Frau kümmern. Sie selbst ist seit 13 Uhr frei. Noch während der Urteilsbegründung wurden ihr die Fußfesseln abgenommen. Freudenstrahlend bedankte sie sich beim Gericht. Anschließend ließ sie sich vor dem Gerichtsgebäude ihre erste Zigarette in Freiheit schmecken – der Polizist, der sie bisher bewacht hatte, gab ihr Feuer. Ihr größte Wunsch: ihre Kinder wiederzusehen.
Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
(gb)